Ausstellung von Beate Rothensee in derGalerie am Bollwerk
29.11.2012 – 31.01.2013
Winterreise
Einführungsrede von Sylvia von Kekulé
Auch diejenigen unter Ihnen, die bisher wenig von Schuberts Winterreise kennen, ist vielleicht das 5. Lied bekannt: „Am Brunnen vor dem Tore // da steht ein Lindenbaum. // Ich träumt in seinem Schatten // so manchen süßen Traum.“ Die zweite Strophe endet mit „Und seine Zweige rauschten // als riefen sie mir zu: // "Komm her zu mir, Geselle // hier findst du deine Ruh“. Diese Worte lassen sich schon als Todessehnsucht deuten, die den Zyklus durchziehen.
Die „Winterreise“ ist ein Liederzyklus, bestehend aus 24 Liedern, dessen Textvorlage von Wilhelm Müller stammt. Franz Schubert vertonte ihn für Singstimme und Klavier, und vollendete ihn im Herbst 1827, ein Jahr vor seinem Tod. Er beginnt mit dem Lied „Fremd bin ich eingezogen, // fremd zieh' ich wieder aus“. Von der Schlusszeile der ersten Strophe bekommt der Zyklus seinen Namen: „Nun ist die Welt so trübe, // der Weg gehüllt in Schnee.“ Wir hören zur Einstimmung einige Takte aus Schuberts Vertonung.
Schubert hat den dunklen Charakter von Müllers Texten verstärkt. Er wählte, um die Todessehnsucht hörbar zu machen, für die Mehrzahl der Lieder Molltonarten. In dem eben gehörten verstärkte er mit der durchgehenden Achtelbegleitung das Irren des Wanderers und seine schweren Gedanken.
Dass dieser Text auch anders interpretiert werden kann, zeigt eine zeitgenössische Vertonung von Hans Zender.
An Stelle des Klavierparts komponierte er eine Orchesterbegleitung und legte so die verstörenden und abgründigen Gedanken des Zyklus wieder frei. Zender schrieb dazu: „Für jedes Lied musste im Übrigen eine eigene Lösung gefunden werden, so dass sich die Gesamtheit des Zyklus wohl eher wie eine abenteuerliche Wanderung als wie ein wohldefinierter Spaziergang ausnehmen wird.“
Wir hören noch einmal in das erste Lied. Und schon in den ersten 2 Minuten zeigt sich ein anderer Charakter: Die Schritte des Wanderers sind nicht mehr verzagt, sondern entschieden. Durch das prägende Vorspiel verlängert sich das Stück, es dauert etwa 5 Minuten.
Die Interpretation Zenders führt uns zu den Arbeiten von Beate Rothensee: Er vermischt bekannte Inhalte mit unerwarteten Formen (sprich Musik) und erreicht so eine neue Sicht auf existentielle Themen. Die Künstlerin wählt existentielle Themen, die sie in ihre eigene künstlerische Sprache übersetzt und dadurch Neues schafft.
So wie Zender mit seiner Musik den Worten eine neue Richtung gibt, so zeigt sie mit ihren Arbeiten, dass für sie das Leben nicht ein Trauerspiel ist, das – wie bei Schubert - linear zum Tode führt. Sie hält sich eher an Rainer Maria Rilke, dessen Gedichte Sie auf den runden Spiegeln finden: „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.“ Das ist auch ihre Sicht auf das Leben. Gleichzeitig weiß sie um die Gegensätze des Lebens: Sie stellt schwarz und weiß, innen und außen, weiblich und männlich, reich und arm gegenüber.
Die schwarz–weiße Arbeit „Transformation“ ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Ausstellung: es geht um Umwandlung. Die Künstlerin lässt den Zyklus nicht im Winter enden, sondern führt ihn in immer weitere Ringe. Es ist wie im wahren Leben: wie oft erleben wir schon Erlebtes, aber dadurch, dass wir nicht mehr dieselben sind, kann das Vertraute fremd werden.
Die Elemente, mit denen Beate Rothensee arbeitet, stammen alle aus dem Alltag. Aber, sie haben sich emanzipiert, sind zu selbständigen Bauelementen geworden.
Die Arbeit „Venus“, ursprünglich ein nüchternes Teleskop, ist hier zu einem Symbol für das Weibliche geworden. Das Stativ ist umhüllt mit feinen, zarten Stoffen, um das Fernrohr ein Glitzerstrumpf. Es steht einerseits direkt neben dem „Exodus“, einem schwarzen Umzugskarton, auf dem weicher Samt und Tüll appliziert sind – eine Trauernde, die die letzte Habe des Geliebten einpackt, aus dem Land der Zweisamkeit auszieht in das der Einsamkeit. Andererseits hat das Teleskop einen Engel zur Nachbarin. Ein Hinweis, dass auch in allem Dunklen Zukunft wohnt. Und mit dem Zitat von Leonardo da Vinci „Binde deinen Karren an einen Stern“ wird deutlich, was aus festgefahrenen Situationen werden kann, wenn wir sie wieder in Verbindung mit unseren Träumen und Visionen sehen. Was aus aufgegebenen Visionen wird, zeigen der bleierne Rucksack, die bleiernen Stiefel des Wanderers dem Teleskop gegenüber. Stände der Wanderer an dieser Wand, er könnte nicht sehen, dass auf der anderen Seite ein goldener Rucksack hängt. Er könnte nicht sehen, was ihm – vielleicht – zu einem anderen Leben verholfen hätte.
Auch der „Hungerkünstler“ in Franz Kafkas gleichnamiger Erzählung konnte sein Leben nicht ändern. (Sie finden Tisch und Stuhl in dem Raum mit den runden Spiegeln.) Er war ursprünglich eine Zirkusattraktion. Die Menschen schauten ihm beim Hungern zu. Als sein Impresario nach 40 Tagen das Ende des Hungerns anordnet, kann und will er nicht aufhören. Er hungert sich zu Tode. Bevor er stirbt, verrät er mit seinen letzten Worten den wahren Grund seines Hungerns. Er könne nicht anders, weil er die Speise, die ihm schmeckt, nicht gefunden habe.
Der kleine Teller des Leiermanns im letzten Lied von Schuberts Liederzyklus bleibt auch leer, wenn auch aus anderen Gründen: es ist das Desinteresse der Menschen, die um ihn herum sind. Mit der Frage des Wanderers: „Wunderlicher Alter! Soll ich mit dir geh'n ?“ wird keine Hoffnung geweckt, dass sich das Leben des Leiermanns oder des Wanderers doch noch wenden könne. Vielmehr besiegelt sie die unentrinnbare Hoffnungslosigkeit und schließt so den Weg des Wanderers. „Drüben hinterm Dorfe // steht ein Leiermann // und mit starren Fingern // dreht er was er kann. // Barfuß auf dem Eise // wankt er hin und her // und sein kleiner Teller // bleibt ihm immer leer.“
Aber zurück zur Transformation: daneben hängt eine Arbeit, bestehend aus Tampons, die eigentlich dem Auffangen der Regelblutung dienen sollten. Hier sind sie unter Schnee und Eis erstarrt, genauso wie der Nistkasten daneben. Sie zeigen Gegensätze in sich selbst: die Fruchtbarkeit und der geschützte Ort zur Aufzucht der Brut und wie sie beide – gefrierend - jedes Leben verloren haben.
An ihrer Seite die Krähe. Sie sitzt vor einem leeren Körbchen; hat der Schnee die Not gebracht? Aber sie ist eine Krähe! Sie gehört zu den Vögeln mit der größten Intelligenz und sie kann sich verschiedenen Lebensbedingungen anpassen.
Schulter an Schulter mit der Krähe ist der Überfluss zu finden. Überfluss auf wessen Kosten?
Die Künstlerin zeigt in ihrer Werkreihe „Epiphanien“ wie sich Werte verschoben haben. Sie arbeitet an dieser Stelle mit Verpackungen von Aldi, Netto und Plus, die sie mit Darstellungen abendländischer Kunst zusammenfügt. Galten früher Bilder Jesu Christi, das Lamm als Symbol für sein Leiden und seine Auferstehung und galten Stillleben als Kostbarkeiten, so sind sie heute für alle zugänglich und beliebig oft reproduzierbar. Der Samt und das Gold erinnern an früheren Glanz und Reichtum der Wohlhabenden, der oft genug auf den Rücken der Armen und Sprachlosen erwirtschaftet worden war.
Heute wird die Überflussgesellschaft wieder durch die Sprachlosen ermöglicht durch Teichwirtschaft, Netzgehege und Massentierhaltung. Auf dem Altar des goldenen Tempelchens werden u.a. Lachse, Forellen und Lämmer geopfert.
Damit ist noch einmal das Thema „Umwandlung“ genannt. Alles kann sich wandeln: das Dunkle in Helles, Leichtes, das Helle, Goldene in Drückendes, das Drückende in Beglückendes, das Beglückende ….
„Ich träumte von bunten Blumen, // so wie sie wohl blühen im Mai; // ich träumte von grünen Wiesen, // von lustigem Vogelgeschrei.
Und als die Hähne krähten, // da ward mein Auge wach; // da war es kalt und finster, // es schrien die Raben vom Dach.
Die Augen schließ' ich wieder, // noch schlägt das Herz so warm. // Wann grünt ihr Blätter am Fenster? // Wann halt' ich mein Liebchen im Arm?“
Womit der Zyklus in die nächste Runde geht.
Bevor wir uns dieses Lied – es ist das 11. im Liederzyklus - anhören, darf ich mich schon einmal für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.
© Sylvia von Kekulé
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